Wie der Radnabel-Chef seine Wochenenden durchbringt, wenn er ausnahmsweise nicht durchschafft: Nicht wirklich weltbewegend, aber das vorletzte Wochenende war doch so ein Volltreffer, da mache ich doch gern ein bissle neidisch. Es begann freitagmorgens mit der Auslieferung von gleich zwei faltern an ein in der HPV-Scene recht bekanntes Pärchen inkl. Simultan-Faltkurs in der Sonne auf unserem Jakobsweg-Kirchen-Vorplatz gleich gegenüber. Am Nachmittag gings dann per Zug nach Stuttgart. Immer mal wieder holt mich mein früheres Leben ein. Lange vorm Euro war mein DM-Suchgerät mein Fagott, man konnte damals in den 70/80ern üppig fündig werden. War ein angenehmes Leben, sponsered by Staat + Kirche. Man musste nur zweierlei, mit beidem hatte ich immer schon Schwierigkeiten: die richtigen Töne spielen und nicht weiter nachdenken. Oder man sollte wenigstens den Mund halten, dies nicht zu tun, übe ich immer noch. Irgendwann fiel mir auf, dass ich nur noch zu Regierungs + Gottes Lob in der Karre saß, da darf man sich bei den Schaustellern einreihen: fahrendes Volk eben. Und damals wurden mir Fahrräder wichtig, so zog ich mich allmählich aus dem Musikbetrieb zurück. Den letzten Bruch gab’s allerdings erst vor wenigen Jahren. Und dann, wenn sie mit Konzertreisen winken, kommt man halt doch wieder ins Wanken. Und so trifft man mich jetzt doch wieder – vertretbar selten – beim „Kirchenbeschallen“. Im Zug dabei waren also: heiliger gefalteter Ur-falter + Delfin-Verkleidung, darin Fagott, Noten, Notenständer, kleine Version der Konzertverkleidung und das Wenige, was man für ein schönes Radelwochenende so braucht. Vom Stuttgarter HBF gings radelnd weiter durch die grüne Lunge hintenrum auf den noblen Killesberg ins Chorheim (ein Benisch-Bau wie der „neue“ Bonner Bundestag) eines nicht unbedeutenden Knabenchors, sympathische zweite Bundesliga, würde ich sagen, denn ihr hohes Niveau erzielen die auch ohne extensiven Bildzeitungs-tauglichen Drill. Nach der Probe beschaulicher Biergartenabend in Cannstadt, dem schöneren und ältesten Teil der Stadt. Dort auf dem Heimweg noch die Daimler-Gedenkstätte entdeckt, seine Originalwerkstatt, wo das ganze Unheil begann – sicher von ihm so nicht gewollt. Prächtig gelegen, mitten im Park, sieht aus, als sei da von vornherein viel Geld im Spiel gewesen. Für samstagabend stand ein Konzert in Heilbronn an. Bis dahin den ganzen Tag Zeit für eine der schönsten Raderlebnisse seit langem: immer dem Neckar nach, der schlängelt sich da gemächlich durch’s Ländle, sodass man sich einen gemütlichen Tag lang mit der eher kurzen Luftliniendistanz beschäftigen kann. Aber mindestens eine wenn nicht die Perle im Schwabenland, dieser Neckarabschnitt: überall „Drogenanbau“, allerorten war man gerade an der Weinlese. Meist gibt’s da unten nur schmale Wirtschaftswege, inzwischen gut als Fahrradwege ausgeschildert, und: traumhaftes Frühherbstwetter. Zwischenstopp in Schillers Marbach, dem pferdefreien (die Queen: „…and where are the horses??“). Mittagsmahl auf dem Marktplatz von Besigheim, umgeben von feinstem Fachwerk. Was das Neckartal in diesem Abschnitt allerdings auch birgt, ist ein Gutteil unserer Noch-Energieversorgung: Irgendwann habe ich aufgehört, die Kohlekraftwerke zu zählen, ein Ur-Schwerölkraftwerk war auch noch drunter. Und dann ging’s ganz dicht vorbei an Neckarwestheim I + II. Die einzige Wolke weit und breit, was den Kühltürmen da kilometerhoch entströmte, ein unheimeliges Gefühl erzeugend, dabei ist das eigentlich Unheimliche garnicht zu sehen! Vor lauter „ja nicht zu spät kommen“ viel zu früh in Heilbronn, dem damals völlig kriegszerstörten. Dort sitzt der Fahrradbauer dann abends in der (ähnlich der Dresdener Frauenkirche wiederaufgebauten) ersten Kirche am Platz und gibt bei einer kammermusikalischen Zwischenmusik (damit die Jungs sich erholen können) den versierten Fagott-Profi. Was ein erhebender Rollenwechsel: „hier die Noten, spiel mal“! Irgendwie ging’s, wie in alten Zeiten. Kurz vor Torschluss und jwd dann doch noch ein Hotelzimmerchen gefunden, Berührung mit der normalen Welt: umgeben von Monteuren, die in wichtiger Mission beim Audi-Werk im nahen Neckarsulm hier abgestiegen waren. Folgte der Sonntag, noch ein Radler-Traum-Tag: Schon lange war Hesses Maulbronn auf meiner Wunschliste. Als ehemaliger Bebenhausen-Schlossbewohner wollte ich dieses noch Größere, noch Bedeutendere, und außerdem als Weltkulturerbe geführte doch endlich mal gesehen haben. Der Weg dorthin führt durchs Kraichgau, einer Hügellandschaft, wie das Neckartal vom Weinbau geprägt, in jedem zweiten Ort ein Weinfest. Lange Zeit grüßte noch die Neckarwestheimer Gruselwolke von Ferne. Sehr glücklich war ich in dieser Gegend mit meinen Karten, den Freizeitkarten vom Landesvermessungsamt Baden-Württemberg, sie leiteten mich fernab des MIV-Getümmels beschaulich durch diese stille Kulturlandschaft. Endlich mal in Maulbronn zu sein, war dann schon ergreifend, auch wenn meine betagte Mutter am nächsten Tag meinte, Bebenhausen sei doch viel ursprünglicher. Den amerikanisch/japanischen Kaffee+Kuchen-Trubel dort muss man nicht gutheißen. Eigentlich war mein Plan, dort in unsere „Kulturbahn“ zu steigen und bequem heimzuzügeln. Aber es war noch früher Mittag, und bei dem Königswetter jetzt schon in ein geschlossenes Zugabteil zu hocken, konnte ich mir nicht antun, also erst mal weiter bis Pforzheim. Das war dann schon fast daheim, und ich bekam Schwierigkeiten, jetzt diesen Riesen-Umweg per Bahn über Horb zu nehmen. Es war erst 1/2 fünf, also: einen Gang höher schalten und vollends durch per Muskelkraft. Sind dann schon noch 80km, aber das idyllische Würmtal war schon lange nicht mehr dran, also gib ihm. Wollte aber vor Dunkelheit zuhause sein, da gibt’s einen Grund, gleich mehr. Kurz in Keplers Weil-der-Stadt gegrüßt und weiter, Sindelfingen, schnell durch’s Daimler-Areal, dann Böblingen. Hätten wir’s vorher gewusst, hätt’s dort ein Wiedersehen mit ’nem ganz Lieben geben können. So war’s halt ’ne Woche später – und wieder viel zu kurz. Schon in der Dämmerung ging’s in den altbekannten Schönbuch. Da wollte ich eben vor Dunkelheit durch sein, um nicht nochmal sowas zu erleben wie vor Jahren. Dies ist nun der Kurzbericht über den zweiten und – bisher – letzten spektakulären Liegeradsturz meinerseits: War seinerzeit auf dem Heimweg von einer Böblingen-Mugge (=Musikers-Gelegenheits-Geschäft), war schon kurz vor der Geisterstunde. Hatte an den Tagen davor nach den Proben schon immer die Wildschweine da im Goldersbachtal bei ihrem Ausgang gesichtet. In dieser letzten Nacht nun, nach dem Konzert, wollte ich einfach nur noch heim. Gab entsprechend Gummi, was kümmern mich die Säue! An der gleichen Stelle sind sie diese Nacht wieder. Und als ich sie gerade bemerke, kriegt eine Panik, schießt aus dem Graben und erwischt mich so, dass sie wohl unter meinem Rad durchgeprescht ist. Ich sehe mich noch wie bei Asterix in 90 Grad Schräglage durch die Luft fliegen, danach endloses Gerutsche auf dem Splitt, komme endlich zum Liegen, rieche Wildschweinduft und höre da hinten wildes Geschnaube. „Nix wie weg hier“ war mein einziger Gedanke, erst einen Kilometer weiter begann ich mich zu sortieren: blauer Fleck am Schenkel, der mich noch wochenlang an diese Begegnung erinnerte, muss wohl der Lenker gewesen sein den ich mir da reingerammt habe, sonst nix! Hatte der Kühle wegen das Verkleidungscape über, der Splitt konnte diesem nichts anhaben, nur am Grundbrett des Verkleidungs-Vorderteils war eine Ecke angebrochen. Dieses Mal keine Säue, hab’s geschafft: mit Sonnenuntergang um 1/2 acht daheim. Leute, so geht Mobilität auch. PS: das alles war natürlich Dienstreise, steuerlich voll absetzbar, gell.