Zum 20-Jährigen des atl, die Radnabel-Vorgeschichte

Irgendwann in diesen Tagen müsste es soweit (gewesen?) sein. Die Werkstatt ist ja schon seit dreieinhalb Jahren Twen. Jetzt hat’s der atl dann auch geschafft: 20 Jahre AllTagsLieger. Zeit für einen „Rück“-Rückblick: Wie kam’s dazu, dass vor 20 Jahren der erste atl dastand? Genau mit diesem Moment endet diese news, sie ist lange genug. Wann war der Beginn vom Anfang? War der nicht lange vor Firmengründung, mitten in meinem Ingenieurstudium: als die Einsicht reifte, jetzt geht’s der Erde so schlecht, jetzt muss ihr geholfen werden, und was könnte ich da beitragen. Das Studium hatte ich wegen ganz anderem begonnen. War damals – wie alle – auf dem besten Weg zum Popstar (nach Zwangsjahr als Bundes(wehr)-E-Bassist), hatte nur E-Gitarren im Kopf und schon so manche selber gebaut. Die Eltern meinten, erst mal solide was studieren, und so wurde es der Maschinenbau. Allerdings, um danach richtig Gitarren zu bauen. Hatte was erfunden: wie man bei doppelchörigen Gitarren die jeweils (fast) gleich gestimmten – und direkt nebeneinander liegenden(!) – Saiten sauber getrennt in Stereo verstärken konnte, Raumklang ohne Ende. Das Patentieren konnte ich mir dann sparen, da zeitgleich die Elektronik-Pfriemler tätig waren. Deren „Chorus-Effekt“ konnte es ähnlich, nur viel einfacher. Soweit mal dieser Abschweifer (darf man doch mal andeuten, dass es noch anderes gibt außer Fahrrädern). Also, die Energiekrisen I + II waren gewesen, und für mich wurde klar, jetzt ist erst mal nicht die Zeit zum nur schöne Musik machen. Mach ich dann wieder, wenn’s dem Planeten wieder besser geht… Und es war ziemlich schnell klar, dass ich mich bei den Fahrrädern festbeiße. An Ökotechnologie gab’s damals sonst nur noch die Solartechnik in ihren ersten Anfängen. Das war nix für mich, denn ich muss immer sehen, dass sich was bewegt, Zahnrädchen, Ketten usw. Hätte ich mich damals doch der Solarbranche angeschlossen, wäre ich heute sicher ein gemachter Mann, so, wie diese Branche die Fördergelder nachgeschmissen kriegt, (mein Lamento über diese Tatsache zieht sich ja wie ein roter Faden durch diesen news-Stapel). Mitte Studium war also klar: Ich werde Fahrradbauer. Bemerkt hatte ich zudem schon lange, dass die Maschinenbau-Branche so eindeutig wie keine andere in die andere Richtung arbeitet, dem „Weiter so“. Das war für mich abgehakt, und es war klar, ich werde mich selbständig machen müssen. Selbständig war ich dann schon beim Thema meiner Diplomarbeit. Zur Auswahl gab es nur „Weiter so“-Themen. Also schlug ich meinem Prof mein eigenes Thema vor: „Der Fahrradantrieb, Stand der Technik“. Denn der Fahrradantrieb war genau das, womit ich mich seit meiner Umorientierung beschäftigte, mit dessen Optimierung, der Verbesserung seines Wirkungsgrads. Ich hatte inzwischen eigene Antriebe entwickelt, Die Ergebnisse brachte ich in die Diplomarbeit ein. Nachdem das Studium 1982 abgeschlossen war, ließ ich mir noch Zeit mit dem Selbständig machen. Denn es gab ja neben der Herzblut-Musik (der mit den Gitarren) noch die „Für Geld“-Musik (die mit dem Fagott, die hauptsächlich in kirchlichem Rahmen stattfand – alter Kalauer: nicht Fa-Gott, sondern Fa-Geld), die mir bereits bequem das Studium finanziert hatte. Fagott spielen, ohne „nebenher“ noch studieren zu haben, das war dann schon ne Weile recht bequem. Es war klar, ich leiste mir das eine Zeit lang und lege Geld beiseite für meine spätere Fahrradunternehmung. Waren zuletzt fast vier Jahre, wo ich es mir nochmal gut gehen ließ. Zuletzt wurde dann das Gefühl immer drängender: Jetzt bist Du ja doch der Fagott-Profi, der Du schon so lange nicht mehr sein wolltest. Solange Du nichts anderes tust, lebst Du nicht nur VON, sondern auch FÜR diese Kirchenbeschallerei, diese kirchliche PR-Maßnahme: Musik in der Kirche – und sie ist voll. Höchste Zeit, endlich Radnabel zu gründen. Am 5.5.86 war es soweit. War zeitgleich mit Tschernobyl. Diese Katastrophe hat hier bis heute ihre Spuren hinterlassen: Ich hatte zuvor das Kernstück der Werkstattausstattung gebastelt, das Kleinteilemagazin mit riesigen Vollauszugsschubladen. Die Fächer hatte ich zur Unterteilung mit hunderten abgeschnittener „Axel-Frischmilch“-Tetrapacks befüllt, die ich täglich massenweise aus den Mensa-Mülleimern holte. Und plötzlich trank niemand mehr Milch. Ab sofort gab’s nur noch Saft-Tetrapacks. Sind jetzt über 20 Jahre alt – alle immer noch im Einsatz. Radnabel war zunächst eine bescheidene „Platten-Flickerei“ als Nebenerwerbsbetrieb. Und auch so gab’s anfangs genug Neues zu lernen, die befreundeten, damals noch „alternativen“ Fahrradläden halfen dabei. Die waren froh, dass sie lästige Reparaturen einfach zum Dieter weiterleiteten konnten, wollten ihr Geld ohne Dreckfinger machen mit Neuradverkauf. Sie hatten damals noch nicht begriffen, wie gut man mit Reparieren 1-zu-1 Stunden abrechnen kann bei geringen Kosten für das Drumherum, heute finanzieren sie sich hauptsächlich über ihre Werkstätten. So sah mein Alltag in der Folge so aus: morgens Werkstatt-Dreckfinger, nachmittags Musikschule unterrichten, abends + wochenends proben + konzertieren – immer volles Programm. Kaum war ein Jahr verstrichen, tauchte ein vorher Unbekannter hier auf, der Claus, höchst bemerkenswerte Begegnung. Er schaute sich das mal eben an, und dann war klar, er schafft da mit, und zwar ab sofort. Ich hatte kein Vetorecht, denn er wollte kein Geld dafür. So waren wir nun Donnerstag bis Wochenende zu zweit. Der Claus arbeitete daheim in Heidenheim nur noch Halbzeit drei Tage und reiste in der Nacht Mi/Do von dort an, oft auf’m Rad (=120km, später war’s schon ein Ur-Lieger, auf dem er dann auch prompt mal im Fahren eingeschlafen ist). Es war eine ganz schöne Zeit. Der Claus brachte eine Ruhe in das Ganze: wenn es bei mir schnell-schnell gehen musste, konnte er mich souverän wieder auf den Boden zurückholen. Wir begannen dann doch mit Fahrradhandel, ganz bescheiden – und natürlich nix normales: Wir boten das an, was es damals an besonderen Rädern gab. Die kamen im wesentlichen von drei Vorgängerfirmen, die es alle längst nicht mehr gibt: Dieter Burmeister, mein Lehrmeister in Berlin, Radius in Münster und Velo-V in Wuppertal. Vor allem mit Velo-V gab’s rasch Probleme: die Rahmen hielten im Schnitt ein halbes Jahr, die Garantieabwicklung war zäh. Bald begannen wir, die Rahmen selber zu flicken – und irgendwann durch eigene zu ersetzen. Das sah dann schon etwas nach atl aus, denn die Velo-V -Grundgeometrie war prinzipiell dieselbe: langer Radstand, Lenker vorn, aber noch ohne den praktischen Gepäckträger vorn, und ungefedert. Der „Herr Velo-V“, war im Radsport „Wasserträger“ gewesen, und wollte es den ehemaligen Kollegen zeigen, indem er nun „das schnellere Rad“ baute, das hatte mit Alltagsradeln nichts zu tun. Ich selbst hatte Alltagsradeln damals auch noch nicht entdeckt, hatte mit meinen Fahrradantrieb -Studien auch noch ausschließlich das Thema „Schneller“ beackert. Und ich wollte nun meine Antriebs-Variante aus der Studiumszeit einfach mal ausprobiert haben. Konstruktionszeichnungen waren da, musste man halt mal bauen. Also musste eine Drehmaschine her. Und so verbrachte ich meinen zweiten Werkstattwinter damit, mir das Drehen beizubringen und meinen Monsterantrieb einmal zu verwirklichen. Das Ding hatte 18 Kugellager und einen Exzenter intus, wog am Ende 8kg. Aber es fuhr sich dann recht angenehm, war am Anfang immer mal kaputt. Doch ich erinnere mich gerne an die 80km-Schönbuchumrundung mit Christophorus, meinem Liebling von damals. Den Liegerad-Vorgängerfirmen gegenüber war ich zu dieser Zeit noch so hochnäsig zu behaupten, es sei doch ein bissle wenig, nur andere Rahmen zu basteln und das wär’s dann schon. Andererseits merkte ich, dass ich als Kleinstbetrieb meinen Antrieb nicht zur Serienreife bringen würde. Dieses Projekt liegt seitdem in der Schublade. Bis zum atl-Erstling gab’s dann noch zwei Episoden. Die erste war ein Auftrag von Bekannten, für deren damals 6-jährigen Sohn, der mit kaum vorhandenen Beinen auf die Welt gekommen war, ein Dreirad mit Handantrieb zu bauen. Es sollte mit dem Kind mitwachsen können. Ich überlegte mir eine ambitionierte Konstruktion. Bis der Bub das erste Mal draufsaß, verging fast ein Jahr. Dieses Gefährt beinhaltete manche Vorstudie, die später beim atl Anwendung fand, in erster Linie die Federung betreffend. Und vor allem lernte ich dabei das Löten. Kaum war dieses Dreirad ausgeliefert, begab sich Mitte 88 eine weitere bemerkenswerte Begegnung: Zwei Liegerfahrer treffen sich in der Fußgängerzone – illegal radelnd versteht sich. Es war der Markus aus der Schweiz, den ich tags zuvor in der Zeitung abgebildet sah mit seinem FaTeBa, Töchterle Lina hinten drauf. Ihn, den Werkzeugmaschinen-Reviseur, hatte es nach zweiter Scheidung „frauentechnisch“ nach TÜ verschlagen. Ich fragte: „Du bist doch der aus der Zeitung?“ Ab sofort belegte er die Werkstatt mit seiner Anwesenheit. Ähnlich wie Claus zwei Jahre davor war auch er in einer Phase der Neuorientierung. Er hatte schon mehrfach mit Eigenkonstruktionen an der Schweizer „Tour de Sol“ teilgenommen, der damals maßgeblichen Ralley für Solarfahrzeuge, und war dabei auch schon Weltmeister geworden. Er hatte alle Lust, da im nächsten Jahr wieder mitzumischen. Er ließ nicht locker: wir mussten nächsten Sommer dabei sein. Da war DIE Glaubensfrage der Liegeradler zwischen uns: Lenker unten oder oben? Da gab es nichts zu diskutieren, es war schnell klar, wir mussten jeder sein eigenes Gefährt bauen. Und mir war in dieser Zeit klar geworden, die Zeit sei reif für den atl. Markus baute seinen Untenlenk-Solar-Lieger. Ich entschied mich mal wieder für besonders ambitioniertes: ich wollte den atl-Prototypen bauen – und gleich den Solarantrieb als Bausatz dazu. Mit Elan gingen wir ans Werk. Es wurde ein turbulentes Dreivierteljahr, denn ich hatte immer noch die Musik nebenbei. Mit ach und krach wurden die Dinger fertig, und wir gingen bei der „Tour de Sol 1989“ mit unlackierten Aschenputteln an den Start. Wir waren zwei getrennte Teams, Teamchef und Teamfahrer jeweils überkreuz: jeder war des andern Teamchef. Es war ein Riesenspaß. Die Tour führte in einer Woche quer durch die ganze Schweiz inklusive Gotthard-Überquerung. Und wir waren recht erfolgreich: Markus, der alte Hase, trug wieder den Sieg davon in der Kategorie Hybridfahrzeuge. Ich hatte täglich mit Pannen zu kämpfen, da ich vorher mein Fahrzeug nicht mehr hatte richtig austesten können, der Musik wegen. Doch den dritten Rang reichte es trotzdem. Die letzten 30km der Schlussetappe schleppte ich mich mit geplatztem Reifen und halber Kraft ins Ziel – der total zerfetzte Reifen war danach lange Zeit Trophäe in der Werkstatt. Das beste war noch – wir hatten damit überhaupt nicht gerechnet – täglich gab es Etappen-Preisgelder, und weil wir zwei Teams waren gab’s die täglich doppelt! So hat sich diese Spaß-Episode am Schluss auch noch gerechnet. Was ich aus dieser Erfahrung lernte war: nach damaligem Stand der Technik waren Solar-Fahrräder eher Umweltverschmutzung als Abhilfe dagegen. Wer der Umwelt Gutes tun wolle, solle sich eben anstrengen und radeln pur (was es aktuell zum Thema Hilfsmotor zu berichten gibt: im kürze, Geduld!). So ging ich im folgenden daran, mal die ersten zehn Vorserien-atls zu bauen. Markus war nach der Tour wieder in die Schweiz zurückgekehrt, inkl TÜ-Frau, aber alsbald kam dann der Ralf in die Werkstatt hereinspaziert und erkor sich diese zu seiner Heimat für die zweite Hälfte seines viel zu kurzen Lebens (traurige news „Im Januar 2005„). Und nun ist der atl schon einige Zeit das am längsten – und immer noch – gebaute „Liege“-Rad hierzulande.